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Wethen, 04.11.2024Soll das Schwert andauernd weiterfressen? Weißt du denn nicht, dass das bittere Ende nachkommt? (2. Sam 2,26)
Heute dem Krieg widerstehen – Kollektive gewaltfreie Alternativen vorbereiten

„Was bedeutet Gewaltfreiheit für uns als Christ*innen inmitten der Kriege und eskalierten Konflikte, die uns heute herausfordern?“ fragte Antje Heider-Rottwilm, Vorsitzende von Church and Peace, zu Beginn der europäischen Konferenz von Church and Peace in Brüssel vom 24.-27.10.24. „Angesichts der Brutalität militärischer Gewalt und dem Elend der von Gewalt betroffenen Menschen können wir uns dem Thema nur in Demut stellen. Wir tun das, indem wir Menschen zuhören, die unter Gewalt leiden, und denen, die versuchen, der Gewalt zu widerstehen. Und wir tun das, indem wir uns mit Klage und Flehen um ein Ende der Gewalt und der Sehnsucht nach Frieden an Gott wenden.“
„Betet für uns Menschen in der Region der Großen Seen: Seit mehr als 30 Jahren haben bewaffnete Konflikte mehr als 15 Millionen Menschen das Leben gekostet und allein im Osten Kongos leben 7 Millionen vertriebene Menschen. Und kämpft dafür, dass ihr in Europa aufhört, unsere Länder als Rohstofflieferanten auszubeuten!“ so ein aus Ruanda stammender Teilnehmer, der jetzt als politischer Flüchtling in Frankreich lebt.
Mehr als 120 Menschen waren zu dem Thema “Heute dem Krieg widerstehen – kollektive gewaltfreie Alternativen vorbereiten“ zusammengekommen, Menschen aus insgesamt 16 Ländern Europas sowie aus 5 afrikanischen Ländern.
„Ich habe mich das erste Mal gehört und verbunden gefühlt als Osteuropäerin, das war für mich ein sicherer Ort (safe space)“, stellte eine Teilnehmerin aus Litauen fest.
In einer öffentlichen Veranstaltung berichtete die Menschenrechtsaktivistin Olga Karach vom Widerstand in ihrem Heimatland Belarus und aus der Diaspora, vor allem durch die Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern. François Marchand von Nonviolent Peaceforce stellte eindrückliche Beispiele ziviler gewaltfreier Intervention, Gewaltprävention und -transformation vor.
„Soll das Schwert andauernd weiterfressen? Weißt du denn nicht, dass das bittere Ende nachkommt? (2. Sam 2,26)“ lautete das biblische Motto der Tagung. Ana Raffai aus Kroatien machte in ihrer Bibelarbeit deutlich, dass das Schwert als Inbegriff der militärischen Gewalt verstanden wird. „Das Menschenfressen ist das Merkmal des Krieges. Das Schwert an sich (nicht erst der brutale Terror oder der ungerechte Angriffskrieg) frisst die Menschen. Die staatlichen Verteidigungsideologien verstecken diese Wahrheit, sie verschweigen das Menschenfressen, widerlegen es aber nicht. Der biblische Text berichtet, dass inmitten der Normalität des Kampfes die Einsicht geboren werden kann, dass der Kampf ein Menschenfressen ist. Das Bewusstssein für das bittere Ende kann inmitten des Krieges wachgerufen werden.
Wir können die unschuldigen Opfer des Krieges als unsere Verpflichtung verstehen, die Gewaltspirale, deren Opfer sie gewesen sind, zu durchbrechen, indem wir uns der Dämonisierung des Feindes widersetzen. Es ist mühsam, im Krieg die Botschaft zu vermitteln, dass die Kriegs-Feinde auch einmal Friedens-Freunde werden können.“
Partnerorganisationen aus Brüssel informierten über ihre gewaltfreien Perspektiven und Projekte angesichts des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, so Tracey Martin vom Quaker Council for European Affairs (QCEA) insbesondere zum Thema Kriegsdienst-verweigerung.
Marek Mišák von der Kommission der europäischen Katholischen Bischofskonferenzen in der EU (COMECE) warnte davor, dass sich die EU in Kriegslogik verstrickt, statt den Frieden vorzubereiten, was an der Fokussierung der ‚mission letters‘ der designierten Kommissar*innen auf Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit/Verteidigung deutlich wird. Torsten Moritz von der Kommission der Kirchen für Migranten in Europa (CCME) unterstrich die Tatsache, dass es gelungen ist, geflüchtete Ukrainer*innen aufzunehmen, wies aber auf die begrenzte Bereitschaft bzw. Abwehr gegenüber Geflüchteten aus anderen Ländern hin. Mangelnde soziale Infrastruktur (z.B. fehlender sozialer Wohnungsbau) schlage sich nieder in Neiddebatten gegenüber Geflüchteten. Es gehe darum, sich auf die Folgen künftiger Konflikte entsprechend vorzubereiten.
Jan de Volder von der Gemeinschaft Sant’Egidio berichtete von Gruppen der Gemeinschaft in der Ukraine. „Sie haben einen unglaublichen gewaltlosen Widerstand gegen die Dynamik des Krieges geleistet, obwohl ihr Haus bombardiert wurde. Sie setzen ihre Schulen des Friedens fort mit vielen internen Flüchtlingen, sie helfen Menschen, die auf der Straße leben.“ Er unterstrich, dass gewaltfrei zu sein auch heißt, bereit zum Martyrium zu sein. Katerina Pekridou von der Konferenz Europäischer Kirchen benannte den wichtigen Beitrag, den Church and Peace für die Entstehung des Programmes „Pathways to Peace“ eingebracht hat. Ein Projekt ist die Konferenz mit Kirchen aus der Ukraine im Dezember zu der Frage, was ‚gerechter Friede‘ bedeutet und was die Kirchen zur Deeskalation beitragen können – nach innen und nach außen.
In den Workshops gab es die Gelegenheit, von Roman Sigov aus der Ukraine Erfahrungen und Herausforderungen in gewaltfreier ziviler Verteidigung zu hören, über die vielen mutigen Aktionen in den besetzten Gebieten, über die Rolle der Medien, der Kultur, der Erinnerungsarbeit inkl. der Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen. Natalia Morozova von Memorial France und Bérangère Savelieffe von Pax Christi France berichteten über Widerstand in Russland: Ebenfalls über phantasievolle‚ mutige ‚Mini-Strategien‘, um den Protest gegen den Krieg zum Ausdruck zu bringen, über Gefängnisstrafen schon für blau-gelb lackierte Fingernägel, über mutige Menschen-rechtler*innen und Jurist*innen, die gefangene Russ*innen und Ukrainer*innen unterstützen und über Flucht als einzigen Weg, der Berufung ins Militär zu entgehen – ein Weg, der von den europäischen Ländern blockiert wird.
Marie-Noëlle Koyara, ehemal. Verteidungsministerin der Zentralafrikan. Republik stellte fest, dass aus europäischer Sicht Afrika nur als Rohstofflieferant bedeutsam ist. Die Armeen in den verschiedenen Ländern schützen die Ausbeutungsstrukturen und -mechanismen. Das afrikanische Szenario von Sicherheit neu Denken arbeitet an der Anpassung an die kulturellen und religiösen Bündnisse und Traditionen u. A. mit dem Ziel, dass sich die Armeen zu „Armeen der Entwicklung“ transformieren.
Weitere Workshops fanden zu den Themen Kriegsdienstverweigerung, Waffenproduktion und Rüstungsexporte stoppen und Community Building als Strategien des gewaltfreien Widerstands statt.
Im Schlussgottesdienst griff Josef Freise aus Deutschland in seiner Predigt die Friedensvision des Propheten Micha auf, an die Jesus anknüpft in seiner Aufforderung an Petrus, das Schwert beiseitezulegen. Er zeigte auf, wie im 20. Jahrhundert diese Vision der Gewaltfreiheit Menschen unterschiedlicher Kultur und Religion miteinander in den Dialog gebracht hat und erinnerte an gewaltfreie Bewegungen weltweit. Dazu gehörte auch die Aktion im Lutherhof in Wittenberg in der Nacht des 24. September 1983, in der ein Schwert zu einem Pflugschar umgeschmiedet wurde; eine Aktion, die angesichts des Drucks der DDR-Regierung Gottvertrauen und Standhaftigkeit erforderte – und die zur friedlichen Revolution beitrug.
Bei der der Konferenz vorausgehenden Mitgliederversammlung wurden als Mitglieder des Vorstandes bestätigt: die Protestantin Antje Heider-Rottwilm als Vorsitzende und die Katholikin Elisabeth Freise aus Deutschland für ein weiteres Jahr, die Katholikin Maria Biedrawa aus Frankreich als stellvertretende Vorsitzende, Salomé Richir-Haldemann, mennonitische Theologin aus der Schweiz und Étienne Chomé, Katholik aus Belgien.
Neu in den Vorstand gewählt wurden Martin Tiller, Baptist aus Großbritannien, Anja Vollendorf, Protestantin und Mike Zipser, Quäker, aus Deutschland. Mit großem Dank wurden aus dem Vorstand verabschiedet: Kees Nieuwerth, Quäker aus den Niederlanden, seit 2018 stellvertretender Vorsitzender von Church and Peace und langjähriges Mitglied von Church and Peace, Ruben Sečen, Baptist aus Kroatien, Mitglied im Vorstand seit 2021, Tony Weekes, Quäker aus Großbritannien, Mitglied im Vorstand seit 2022.

Pressekontakt:
OKRin i.R. Antje Heider-Rottwilm, Vorsitzende von Church and Peace, +49 172 5162 799

 

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