Wethen, Dezember 2023

Weihnachten ist die Zeit, in der wir die Verwundbarkeit Gottes umarmen.
(Schwester Mary Leddy)

Ein sperriger Satz und eine Zumutung: die Verwundbarkeit Gottes umarmen?
Schutzbedürftigkeit und Verwundbarkeit sind brutal. Die Bilder aus der Ukraine, aus Israel/Palästina und von vielen anderen Orten dieser Welt führen uns das täglich vor Augen.
Sie rufen das Bedürfnis nach Schutz, nach Sicherheit, nach alldem, was ebenfalls täglich zu sehen ist, hervor: Bomben, Panzer, Granaten, Mauern und Grenzanlagen.
Aber können wir auch etwas anderes in ihnen sehen? Können wir auch wahrnehmen: Hört endlich auf, uns mit dem zu schützen, was so viel Leid und Zerstörung bringt, was immer nur Gegengewalt provoziert.

Israelische Eltern, die durch Terrorattentate der palästinensischen Hamas ein Kind verloren haben, und palästinensische Eltern, deren Kinder von israelischen Soldaten getötet wurden, bringen ihre seelische Verwundung, ihre Trauer gemeinsam zum Ausdruck und haben die Organisation Parents Circle gegründet. Ihre Botschaft: Hört auf mit dem Hass! Das macht unsere Kinder nicht wieder lebendig. Unsere gemeinsame Verantwortung ist es, diese Gewaltspirale zu beenden!

Mit dem Bild vom Kind in der Krippe wird diese Stimme hörbar. Seht her, hier ist ein Mensch, ein kleines Kind, das auf andere angewiesen ist. Schützt dieses Kind, schützt jeden Menschen und ganz besonders die, die am schwächsten und verwundbarsten sind.
Die Verwundbarkeit Gottes ist das Gegenbild zu militärischen Sicherungssystemen und zur weltweiten Hochrüstung, die jedes Jahr Unsummen verschlingt und die Spirale von Hass, Drohung, Angriff, Rache immer höher schraubt. «Gott hat abgerüstet in Jesus Christus», sagt die ev. Theologin Dorothee Sölle.

Das ist die große Herausforderung, die uns sein verwundbares Leben hinterlässt: dass wir unsere eigene Verwundbarkeit riskieren. Sie bleibt uns erhalten – ein Leben lang, trotz aller Sicherungssysteme.

Wenn wir uns gegenseitig in unserer Verwundbarkeit und unserem Schutzbedürfnis anerkennen, dann wachsen wir in eine Verantwortung hinein, die nicht bei uns selbst aufhört, sondern auch das Schutzbedürfnis des Anderen, der Fremden, miteinbezieht, die ermutigt, Kooperation statt Konfrontation zu wagen, aufeinander Zuzugehen statt Mauern zu errichten.

Ich grüße euch und Sie in diesen dunklen Zeiten mit den Worten aus einem Choral des Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach:

Brich an, du schönes Morgenlicht,
Und lass den Himmel tagen!
Du Hirtenvolk, erschrecke nicht,
Weil dir die Engel sagen,
Dass dieses schwache Knäbelein
Soll unser Trost und Freude sein,
Dazu den Satan zwingen
Und letztlich Frieden bringen.

Im Namen des Vorstands

Antje Heider-Rottwilm