Herrnhut, 29. Oktober 2025 – Die Herrnhuter Brüdergemeine hieß am vergangenen Wochenende um die 120 Teilnehmer*innen aus 19 Ländern zur Europäischen Konferenz 2025 willkommen, die sich unter dem Motto versammelten: „Du lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit… Widerstehen, versöhnen, Transformieren“.
In ihrem Grußwort bezog sich die Herrnhuter Pastorin Jill Vogt auf Bischof Johann Amos Comenius, der 1667 die Schrift angelus pacis/Friedensengel veröffentlichte. Antje Heider-Rottwilm, die scheidende Vorsitzende von Church and Peace, würdigte ihn als Friedensdiplomaten, Friedenspädagogen und Begründer einer Friedensethik.
Marie Anne Subklew-Jeutner vom Institut für Theologie der Friedenskirchen und Benigna Carstens, Pfarrerin der Herrnhuter Gemeine in Dresden, erinnerten an die verhärtete Zeit des kalten Kriegs, als 1981 sich die Pershing II im Westen und im Osten die SS-20-Raketen gegenüberstanden. Sie teilten sehr eindrücklich, was ihnen half, nicht hart zu werden, sondern sich zu engagieren: die jahrelange friedenstheologische Arbeit in den Gemeinden, die geistliche Gemeinschaft in den Kirchen, die für alle offen war, und die klaren Worte der Kirchenleitungen. So auch die Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung und die Feststellung, dass die Wehrdienstverweigerung das deutlichere Zeichen eines christlichen Friedensdienstes ist.
Anknüpfend daran unterstrichen die Teilnehmenden der Konferenz die Forderung, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen als Menschenrecht, wie es die UNO anerkennt, in allen europäischen Mitgliedsstaaten und darüber hinaus verankert und geschützt werden müsse, zumal angesichts der aktuellen Debatten um einen verpflichtenden Dienst an der Waffe. Stattdessen müssten dringend Alternativen wie Friedensdienste und soziale Verteidigung analog zum Zivildienst ausgebaut werden.
„Wann ist uns Deutschen je eine Revolution gelungen – ohne Blutvergießen, ohne Krieg und Sieg und Demütigung anderer Menschen und Völker? Es ist ein Wunder biblischen Ausmaßes, sagt die Theologin in mir. Es war das multifaktorielle Zusammenspiel von außen- und innenpolitischen Konstellationen, sagt die Politikwissenschaftlerin in mir. Es stimmt beides, sagt die Erfahrung in mir,“ so Marie Anne Subklew-Jeutner
Benigna Carstens beschrieb Versöhnung nach Comenius als „Rückkehr zweier oder mehrerer Parteien nach Kränkungen zur ursprünglichen Liebe“ und machte daran die Situation der beiden ehemaligen deutschen Staaten deutlich. Man habe in Ostdeutschland nicht erlebt, dass gewürdigt wurde, was die Zivilgesellschaft zum Sturz der Berliner Mauer beigetragen habe, sodass sich nach der Wende eine kritische Haltung entwickelte. Sie warnte davor, „dass wir vom ‚richtigen Friedensstandpunkt aus‘ die ‚Massen‘ verachten angesichts der sich ausbreitenden Bereitschaft, sich mächtigen gewaltbereiten Männern unterzuordnen.“
Roman Zábrodský, hussitischer Theologe aus Prag, Tschechien, sprach in seiner Bibelarbeit zu Hes 36,26, („…das steinerne Herz will ich aus eurem Körper herausnehmen und euch ein fleischernes Herz geben“) von der notwendigen inneren Transformation, die zu einer neuen Identität des Menschen wie der Gesellschaft führt: Diese neue Identität lässt sie ihren eigenen Anteil an der Gewalt erkennen, anders mit Gewalt umgehen als Gegengewalt zu verüben, und führt zum Widerstand gegen Gewalt und Solidarität mit den Unterdrückten.
Landesbischof Friedrich Kramer, Friedensbeauftragter des Rates der EKD, kommentierte das 1968 entstandene Lied ‚Du lass dich nicht verhärten‘ des Liedermachers Wolf Biermann aus der Perspektive der Seligpreisungen Jesu. Er benannte die Herausforderung, auch heute als Friedensarbeiter*in kein verhärtetes Herz zu bekommen; es gehe um den täglichen Abbau von Hass, um Barmherzigkeit, darum, im anderen Menschen das Antlitz Gottes zu sehen. Friedrich Kramer wies auf die neue Friedensdenkschrift der EKD hin, die im November veröffentlicht wird: „Das Leitbild des gerechten Friedens bleibt erhalten.“
In unterschiedlichen Ted-Talks, die in Workshops mit den Teilnehmenden vertieft wurden, wurden Herausforderungen der Gewaltfreiheit aus europäischen Kontexten und dem Ostkongo thematisiert.
Bienvenue Matumo stellte die Besetzung des Ostkongos durch die M23 mit den Konsequenzen für die Bevölkerung und die gewaltfreien Aktionen der Gruppe LUCHA dar.
Marija Parnicki and Mariana Ajzenkol aus Novi Sad, Serbien, informierten über die größte gewaltfreie europäische Bewegung gegen Korruption und für einen Politikwechsel, die gegenwärtig in Serbien stattfindet, dar (siehe Presseerklärung zu Serbien von Church and Peace).
Ieva Rūkė, Koordinatorin des Zentrums für Dialog und Konflikttransformation aus Litauen, sprach zu Demokratisierungsprozessen und Möglichkeiten der Einflussnahme Einzelner und Gruppen auf politische Prozesse.
Das Ostritzer Friedensfest, eine sächsische Initiative für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz, stellte ihre 3-Säulen-Strategie „Haltung durch Unterhaltung“ vor, die äußerst erfolgreich gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit hin zu einer Solidarisierung von Stadt und Zivilgesellschaft geführt hat.
Natallia Vasilevich, orthodoxe Theologin und Koordinatorin von ‚Christian Vision‘ und ‚Christen gegen den Krieg‘ beschrieb, welche Auswirkungen die russische Kriegführung gegen die Ukraine für Belarus hat. Geringstes bürgerschaftliches Engagement gilt als „Extremismus“. Es erfolgen Repressionen und Verhaftungen. Dennoch lassen die Initiativen nicht davon ab, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren und Kriegsdienstverweigerer zu unterstützen.
Mit einem bewegenden Gottesdienst verabschiedete Church and Peace die Vorsitzende Antje Heider-Rottwilm und die Schatzmeisterin Elisabeth Freise, die die Geschicke des europäischen friedenskirchlichen Netzwerks 16 Jahre lang prägten, aus ihrer Vorstandsarbeit. Beide werden weiterhin Church and Peace vertreten: die eine in der Konferenz Europäischer Kirchen und der Friedensarbeit der EKD, die andere in der Initiative ‚Sicherheit neu denken‘.
Das Netzwerk begrüßte als neue Vorsitzende Anja Vollendorf, Pfarrerin, Vize-Dekanin und Mitglied im Laurentiuskonvent, Mike Zipser von den Quäkern in Deutschland als neuen Schatzmeister und Siniša Klem von Youth for Christ, Kroatien, als weiteres Vorstandmitglied.
Pressekontakt:
Anja Vollendorf, Vorsitzende von Church and Peace, 0170 3568204